Traditionalistische Internetpräsenzen
Mit Beginn des neuen Jahrtausends gewann das Internet auch im kirchenpolitischen Bereich immer mehr an Bedeutung. Dabei fällt auf, dass offiziell gestartete Internetaktionen kaum Erfolg hatten, während private Initiativen große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Unter diesen wiederum sind es gerade konservativ-katholisch ausgerichtete Webpräsenzen, die die größten Erfolge erzielen.
Was reale Netzwerke wie die Piusbruderschaft, die Düsseldorfer Herrenabende oder der Kreis um die Zeitschrift Theologisches noch im Rahmen persönlicher Begegnung, aber hinter verschlossenen Türen praktizierten, das findet nun im weltweiten Netz statt und erreicht einen viel größeren Personenkreis. So wurde die »benedettinische Wende« schon mehrere Jahre vor der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst in der deutschen Öffentlichkeit durch das Internet wirkungsvoll vorbereitet. Die komplizierten, über viele Jahrhunderte entwickelten Reglements, die heute in Rechtsstaaten eine unverzichtbare Rolle für die journalistische Berichterstattung spielen, kommen dabei allerdings kaum mehr zum Zuge.
Als erste bekanntere katholische Internetpräsenz nahm die Seite kath.net mit Unterstützung Bischof Krenns im Jahr 2001 von Österreich aus ihren Betrieb auf. Betrieben wird sie bis heute von einer Gruppe jüngerer Katholiken, Laien und Priester, die einen dezidiert kämpferischen Katholizismus, verbunden mit einer eigenen, an Medjugorje ausgerichteten Marienfrömmigkeit vertreten. Subventioniert wird die Seite vor allem von dem päpstlichen Hilfswerk »Kirche in Not«, das offensichtlich im Hinblick auf die Finanzierung extrem konservativer Initiativen in ganz Europa eine Schlüsselrolle spielt. Die knapp achtzig Millionen Euro Spendengelder, die das direkt dem Vatikan unterstellte und mit dem Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) versehene Werk etwa im Jahr 2007 einnahm, werden freilich nicht mit dem klaren Hinweis auf solche Zwecke gesammelt, sondern mit dem harmlos klingenden Ziel, weltweit verfolgten, bedrängten und notleidenden Christen zu helfen.
Im Zentrum der Arbeit von kath.net steht aber nicht - wie man aufgrund des finanziellen Engagements von »Kirche in Not« annehmen könnte - die Hilfe für »bedrängte Christen« oder eine Vertiefung christlicher Frömmigkeit und des Glaubens. Vielmehr hat man sich fundamentalistisch-konservatives Engagement in kirchen- und gesellschaftspolitischen Fragen auf die Fahnen geschrieben. Besonders gerne werden Geistliche an den Pranger der Internetöffentlichkeit gestellt, die in ihren Pfarreien eine an den Menschen orientierte Pastoral praktizieren. Aber auch gegen moderne Kunst und Liturgiegestaltung, gegen die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, gegen einen fairen Dialog mit anderen Religionen, gegen die Gleichberechtigung homosexueller Menschen, gegen künstliche Verhütung und gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch geht man entschieden vor.
Es sind nicht nur zahlreiche konservative Bischöfe, die die Arbeit von kath.net immer wieder lobend hervorheben, auch der Papst hat inzwischen erkannt, dass er mit dieser Nachrichtenagentur einen wichtigen Verbündeten in seinem Kampf gegen die »Diktatur des Relativismus« hat. Einem Bericht der Internetseite zufolge ließ Papst Benedikt am 9. Juni 2010 die kath.net-Mitarbeiterin Verena Mayer bei einer kleinen Privataudienz nach der Generalaudienz wissen: »Ich freue mich sehr, dass es kath.net gibt und dass kath.net über das Aktuelle in der katholischen Kirche berichtet.« [49]
Auch ich teilte anfangs diese Freude und gab kath.net mehrere Interviews zu aktuellen theologischen Fragen oder verfasste Beiträge für die Seite. Besonders ein kritisches Interview zu Karl Rahner publizierte man dort mit großer Genugtuung. Kath.net machte auch indirekt Werbung für Theologisches, aber nur so lange, bis ich einen kritischen Artikel zu den angeblichen Marienerscheinungen von Medjugorje veröffentlichte.
Da die Verantwortlichen der Seite kath.net, die zeitweise auch Zuschüsse aus Kirchensteuermitteln bekam, namentlich bekannt sind, legt man sich dort die Zügel des Euphemismus und der indirekten Rede an, wo man aufgrund seines antimodernen Katholizismus mit dem Gesetz in Konflikt kommen könnte.
Die Macher einer anderen Internetseite haben daraus ihre Konsequenzen gezogen: Im Herbst 2004 ging die Seite kreuz.net an den Start, die sich, von einigen Namensbeiträgen abgesehen, in der Anonymität versteckt und so in der Lage ist, die Grenzen des Rechts und menschlichen Anstands zu überschreiten.
Wenn der existentiellste Kampf der Gegenwart jener um die Aufmerksamkeit ist, können sich die Internet-Kreuzritter durchaus sehr erfolgreich fühlen. Im April 2008 registrierte kreuz.net knapp acht Millionen Seitenaufrufe pro Monat und rühmte sich, etwa dreimal so viele Leser zu verzeichnen wie sämtliche anderen katholischen Online-Medien im deutschen Sprachraum zusammen. Eine genauere Beschäftigung mit kreuz.net ist aber nicht nur aus diesem Grund nötig, sondern auch, weil dort in aller Öffentlichkeit gesagt wird, was entgegen der Annahme der Berliner Tageszeitung vom 19. März 2009 eben nicht nur beim »braunen Bodensatz der katholischen Traditionalisten« gilt.
Mit missionarisch-sektiererischem Eifer wird hier genau das verbreitet, was erzkonservative Katholiken bis in höchste Ämter hinein denken, aber nur im privaten Gespräch mit gleichgesinnten Kampfgenossen hinter verschlossenen Türen zum Besten geben. Ein Bischof, den ich auf die Problematik von kreuz.net ansprach, antwortete mir: »Was haben Sie mit der Seite für Probleme? Wir beide wissen doch, dass die recht haben!« Und die von der katholischen Kirche mitfinanzierte Seite kath.net unterscheidet sich, wie bereits erwähnt, von der anonymen Konkurrenzseite hauptsächlich dadurch, dass sie die gleichen katholischen Radikalismen einfach etwas vorsichtiger formuliert und sich damit schmücken kann, dass sogar Bischöfe als Autoren der Seite auftreten.
Daher verwundert es auch nicht, dass die katholische Kirche bislang offiziell nichts Nachhaltiges gegen kreuz.net unternommen hat. Es blieb im Wesentlichen bei der kurzen Bemerkung des Sprechers der Deutschen Bischofskonferenz im Februar 2009, dass man sich von kreuz.net distanziere und die Internetseite kein offizielles Unternehmen der katholischen Kirche sei. Ähnliche Äußerungen kamen auch von den österreichischen und Schweizer Bischöfen. Konsequente zivilrechtliche Versuche der katholischen Kirche, gegen die Seite vorzugehen, sind bisher ebenso ausgeblieben wie kirchenrechtliche Sanktionen gegen deren Macher. Diese könnte man auch ganz allgemein aussprechen, ohne die konkreten Personen namentlich zu nennen. Warum exkommuniziert man nicht einfach in Rom die hinter kreuz.net stehenden Personen? Dies wäre eine unzweideutige und glaubhafte Distanzierung der Amtskirche, die auch auf die Autorenschaft und die Fans der Seite nicht ohne Eindruck bliebe. Stattdessen macht man genau das Gegenteil: Man hebt ohne Not die Exkommunikation eines Bischofs auf, der nahezu alle Thesen von kreuz.net auf ähnlich aggressive Weise vertritt.
In anderen Fällen ist man mit kirchlichen Strafen wesentlich großzügiger: So wurde etwa der Saarbrücker Theologieprofessor und Priester Gotthold Hasenhüttl 2003 vom Heiligen Stuhl endgültig suspendiert, weil er auf dem Berliner Ökumenischen Kirchentag zusammen mit evangelischen Christen einen gemeinsamen Abendmahlgottesdienst gefeiert hatte. Und er ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen mit äußerster Härte gegen modern ausgerichtete Priester und Theologen vorgegangen wird.
Wie die Hersteller der billigen Turnschuhe, die man unter Markennamen wie »Dadidas« oder »Niker« auf türkischen Touristenmärkten kaufen kann, hat kreuz.net sein Webdesign von der damals noch größeren Schwester kath.net gestohlen. Deshalb wirkt die Internetseite auf den ersten Blick nicht nur technisch professionell gemacht, sondern erweckt auch den Anschein, von frommen, gottesfürchtigen Menschen betrieben zu werden. Im kardinalsroten Kopf-Frame prangt ein liegendes Kruzifix, von dem der gekreuzigte Jesus den Betrachter leidend anblickt. Daneben plakativ in Großbuchstaben der Name der Seite, versehen mit dem Untertitel »Katholische Nachrichten«.